Ist es nun besorgniserregend oder sollte ich einfach nur wehmütig sein, wenn die größte süddeutsche Zeitung sich, turnusgemäß und wie im deutschen Online-Zeitungsangebot eigentlich zu erwarten, seit heute, 16:24 Uhr (tatsächlich genannte Veröffentlichungszeit), als „neue SZ im Netz„ frisch umlackiert ebenso komplett neu erfindet und gleich noch schützend mit einer Bezahlschranke gegen die Kostenlos-Kultur des Internet wappnet?
– Quelle / Screenshot: via vimeo
Unfreiwillig missverständlich wirkt die Original-Gliederung des Aufmacher-Titels im Video „Die neue SZ„:
Entdecken Sie uns neu
– Was wir verbessert haben – in 90 Sekunden
Ein begleitender Text zur Einleitung stellt den Aufwand für den Relaunch richtig dar:
„In den vergangenen zwei Jahren haben wir an einer neuen SZ im Netz gearbeitet.“
Nun sage ich leise Sorry. Zum Abschied kam es zwar schon vor einer gefühlten Digital-Epoche, immerhin ich lese das SZ-Angebot schon länger als 2 Jahre nicht mehr. Obwohl es angesichts traditioneller Verwurzelung im Bildungsbürgertum und Anerkennung durch die Informationsgesellschaft wichtig sein sollte – und es mir Professor Hans-Jürgen Weiß im Zuge der „Einführung in die Massenmedien„, in den neunziger Jahren noch so genannt, eintrichterte: No Way.
Dein Leser, das unbekannte Wesen
Recherche, Einordung, Reflexion: das beherrschen auch andere, sogar allein wirkende Journalisten. Vielleicht ist deren Infrastruktur begrenzter, Zugang zu Korrespondentennetzwerken kleiner, Themenspektrum geringer. Doch gutes Handwerkszeug und passendes Zeit-Ort-Gleichgewicht knacken die mehr als staubige Hybris vergangener Jahre locker. Wenn zudem ein Gros zukunftsträchtiger und -fähiger Leser bereits weggelaufen sind, hilft der sicher teure Einsatz aufwändiger Instrumenten aus dem Markenaufbau wie (Achtung, kein Bullshit Bingo) Audience Listening möglicherweise nur noch wenig.
Dabei scheint etwas im Medienhaus angekommen, was für einen echten Wandel sorgt:
Wir sind tatsächlich in einer Aufbruchstimmung. Ich freue mich darauf, dass wir diese Aufbruchstimmung zu unseren Lesern tragen.
– Johannes Hauner, Leiter Marketing Digitale Produkte / Quelle : SZ via vimeo
Mut zur Annäherung – Einstieg in die Mitmach-Kultur
Andere Erzählformen, Inhalte, Kuratoren, Plattformen und News-Streams, sowohl neu gelaunchte, als auch attraktiv runderneuerte, sind nach gefühlten 10 Jahren auf eigener, oft selbst ausgebauter Überholspur einfach wesentlich relevanter, interessanter, vielseitiger geworden. Und manchmal sogar wirtschaftlich attraktiv. Das ist nicht einmal nur hypermedial betrachtet.
Auf dieser anderen Stufe eines anders aufgezogenen Modells für Abonnement und Bezahlinhalte wünsche ich einer aus dem Kreis der ehemals großen vier Qualitäts-Tageszeitungen in Deutschland – DIE WELT, FAZ, FR, SZ – viel Glück und neuerlichen Erfolg.
Vom digitalen Wandel zur neuen Monetarisierung
Das soll überhaupt nicht ironisch klingen, sondern aufmunternd. Denn als ich im Oktober 2009 in München ein BarCamp zum vielzitierten Print-to-Online-Shift der Medien organisierte, kamen nur die – bis heute – üblichen Verdächtigen: selbstverständlich neugierige, freie Journalisten, Early Adopter der Unternehmen, ein paar Abgesandte aus PR-Agenturen sowie inzwischen erfolgreiche Publisher – jedoch keine Vertreter etablierter Medien. Und persönlich eingeladen haben wir damals zahlreiche Zeitschriften- und Zeitungsredakteure, die heute mitunter die eifrigsten Twitter- und Facebook-Nutzer sind.
Daher ist es umso erfreulicher, dass es heute, 2015, soweit ist, Neuland nun offiziell zu betreten in einen Digitalbereich umzuziehen, wenn auch nicht mehr als Pioniere, da die Leser der Community es längst erschlossen haben.